Freeride-Tourenbindungen – noch immer eine Welt aus Kompromissen

Seitdem ich den ersten Beitrag zu Tourenbindungen und deren Kompromissen (siehe hier) geschrieben habe, hat sich einiges am Touren- und Freeride-Markt getan und ich möchte meine Gedanken zu diesem Thema sowie zu den neuen Bindungen hier teilen.

Eines vorweg, ich gehe mit Ski auf Berge, um diese hinunterzufahren. Die Zeit ist mir ziemlich egal und es zählt für mich lediglich coole Lines schnell und ohne Bedenken fahren zu können.

Bis vor wenigen Jahren stand man als Freerider oder als abfahrtsorientierter Tourengeher vor der Wahl – Pinbindung oder Rahmenbindung. Mittlerweile gibt es aber auch schon einiges dazwischen.

Die sogenannten Hybridbindungen haben in den vergangenen Jahren den Markt förmlich umgekrempelt. Begonnen hat das Ganze mit der Marker Kingpin – Pin vorne und Alpinbacken sowie seitliche und vertikale Auslösung hinten. Danach kam die Fritschi Tecton – Pin und seitliche Auslösung vorne und Alpinbacken sowie vertikale Auslösung hinten. 

Gleich haben alle nachfolgend vorgestellten neuen Bindungen, dass sie Pins für den Aufstieg benötigen. Die Kingpin und Tecton benötigen allerdings für die Abfahrt lediglich an der Ferse eine Alpinauflage für die Bindung, alle anderen benötigen Schuhe mit der Touren-Norm ISO 9523, Gripwalk- oder Alpinsohlen.

Vorweg noch einige Gedanken zum Thema Sicherheit. Pinbindungen sind leicht bzw. sind in den letzten Jahren extrem leicht geworden und bieten zudem ein gutes Auslöseverhalten, welches inzwischen einen – je nach Modell – sehr hohen Z-Wert erreicht. Was aber alle Pinbindungen – außer Fritschis Vipec und Tecton – gemein haben, ist die seitliche Auslösung hinten. Das funktioniert grundsätzlich auch gut, jedoch nicht bei Stürzen, bei denen kaum seitliche Belastung hinten auftritt – z.B. bei langsamen Dreh-Wende-Stürzen. Schläge von vorne werden zum einen nicht gedämpft, da bei klassischen Pinbindungen am Vorderteil kein relevanter Federweg existiert, zum anderen wird eventuell auch nicht sofort bei zu großer Belastung ausgelöst. Einfach gesagt wandert der Drehimpuls – der eine Alpinbindung vorne auslösen würde – durch die Bindung bzw. den Schuh ins Knie des Fahrers und löst eigentlich erst hinter der Ferse, am Fersenautomaten, hinten aus. Mögliche Folgen sind zum einen eine Verletzung des Knies oder aber eine Fehlauslösung in ungünstigen Situationen.

Ein weiterer Punkt ist, dass bei einigen leichten Pinbindungen die vertikale Auslösung über einen U-Bügel geregelt wird und eine exakte Einstellung nicht möglich ist, solange man nicht zufällig die vorgegebenen Z-Werte benötigt. Zusätzlich leiern solche Bindungen die Inserts am Schuh auf Dauer aus.

Ich persönlich habe vor einigen Jahren für mich beschlossen, dass es für mich wichtiger ist, eine gute und sichere Bindung für die Abfahrt zu haben und durch das höhere Gewicht einfach etwas gemütlicher zu gehen.

Ich habe noch ein PIN-Set (hier zum Nachlesen) für lange Touren oder Frühjahrs- bzw. Skihochtouren, bei denen Gewicht und Tempo durchaus eine Rolle spielen und ich den Abfahrtsgenuss eher hinten anstelle.

Marker Kingpin 13

Ich hatte die Marker Kingpin noch nicht in den Händen bzw. auf Tour angeschnallt und kann nur von Anderen Infos weitergeben. Die Kingpin ist grundsätzlich sehr zuverlässig und hat bei den neuen Modellen auch das Problem, dass die Pins abbrechen können, nicht mehr. Für mich kam sie wegen der seitlichen Auslösung hinten und des höheren Gewichts verglichen mit der Tecton nicht in Frage. Inzwischen gibt es ein neueres Modell der Kingpin namens M-Werks – leichter mit einem Z-Wert von 5 bis 12.

Viele schwärmen von der Kingpin, jedoch gibt es meiner Meinung nach mit der Tecton eine leichtere bzw. gleich schwere und sicherere Alternative.

Fritschi Tecton 12

Die Fritschi Tecton war bis vorige Saison meine Wahl. Sie war leicht und lieferte hervorragende Performance während der Abfahrt. Mich störte aber der lange Hebel vorne, um die Bindung im Aufstieg zu fixieren (bzw. hier einfach den Z-Wert um 20 % zu erhöhen). Es passierte mir während einer Sesselliftfahrt einmal beinahe, dass ich mir die Bindung mit dem Skibügel aufgemacht habe und den Ski verloren hätte. Außerdem zwickt man sich sehr leicht die Finger beim Umbau des Hinterbackens ein – ist nicht nur mir passiert!

Sonst eine sehr solide Tourenbindung für den anspruchsvollen Abfahrer, die auch für lange Tage leicht genug ist und sich vor der Konkurrenz nicht im Geringsten verstecken muss.

Atomic/Salomon Shift 13 MNC

Mein Blick für die Ski der letzten Saison fiel auf die neue Atomic/Salomon Shift – Alpinbindung für die Abfahrt und Pins für den Aufstieg. 

Klingt ja sehr verlockend und ist auch eine Top-Bindung, die sich eigentlich so fährt wie jede andere gute Alpin- bzw. Freeridebindung. Leider ist die Handhabung etwas fummelig und die passende Einstellung ist teilweise ein Geduldsspiel. 

Wenn man den Schuh wechselt und die Bindung neu einstellt, kommt es dann schon öfter vor, dass sich die AFD-Platte von selbst nach unten adjustiert und man diese wieder nachstellen muss. Zusätzlich muss man den Z-Wert am Hinterbacken relativ fest zudrehen, um eine Fehlauslösung zu vermeiden. Außerdem ist der Umbau von Aufstieg zu Abfahrt wesentlich komplexer als bei Pinbindungen oder der Kingpin bzw. auch der Tecton. Ist die Bindung einmal gut eingestellt, fährt es sich damit wie in einer Alpinbindung und wirkt dementsprechend bei Sprüngen und Schlägen sehr vertrauenserweckend. Achtet man nun auch darauf, dass kein Schnee ins System kommt bzw. komprimiert wird – z.B. unter der Stopperplatte oder im Gehäuse der Front-Feder – löst die Shift auch zuverlässig aus.

Bei mir hat der Vorgang des Fein-Tunings ungefähr 5 Ski-Tage in Anspruch genommen, aber jetzt passt sie sehr gut und auch der Umbau funktioniert inzwischen fix.

CAST Freetour Upgrade / Look Pivot 15/18

Ein weiteres System in meinem Besitz ist das Upgrade-Kit für die Look Pivot 15/18 der amerikanischen Firma CAST. Deren Freetour-Set umfasst alle Teile, um die Pivot mit dem Vorderteil aus Metall so umzubauen, dass man zwischen Pins für den Aufstieg und der in meinen Augen besten Freeride-Bindung für die Abfahrt wechseln kann.

Der Vorteil ist ganz klar – eine Look Pivot 15 oder 18 für die Abfahrt! Einfach unschlagbar! Leider ist die Montage gar nicht so einfach. Statt des Vorderteils der Look wird eine Metallplatte mit Metallstiften auf dem Ski montiert, in die man dann Pin-Teil bzw. Alpinbindung einrasten kann. Diese Stifte müssen exakt gerade montiert sein, um beide Wechsel-Teile einrasten zu können. Außerdem müssen vor dem Fersenteil noch 2 Löcher für die Stopper-Arretierung gebohrt werden. Hier schickt CAST eine Klebeschablone mit oder man muss diese selbst ausdrucken. Auch hier ist Maßarbeit gefragt und eine kleine Abweichung verhindert ein Funktionieren der Wechselplatte oder der Stopper-Arretierung.

Passt die Montage, ist die Bindung relativ schwer mit knapp 1 kg pro Ski im “Gehmodus”, was jedoch leichter ist, wie die meisten Rahmen-Bindungen mit ähnlichen Z-Werten, aber nur knapp 100 g schwerer als die Shift. Zum Abfahren ist sie aber einfach eine Naturgewalt!

B.A.M. Bindung

Ähnlich wie bei der Shift wird bei dieser Bindung der Vorderbacken für Aufstieg bzw. Abfahrt umgebaut. Anders als das CAST-System oder die Duke PT wird hier nichts vom Ski genommen und man kann somit nichts verlieren. Der Fersenautomat ist ähnlich der Look Pivot eine Drehteller-Konstruktion. Somit dürfte diese Bindung sehr gute Abfahrtsperformance bieten – worüber ich leider nichts sagen kann, da ich diese noch nicht in der Hand hatte bzw. sie noch nicht gefahren bin.

Außerdem ist sie mit über 1300 g pro Ski die schwerste dieser Hybridbindungen.

Marker Duke PT 16

Seit diesem Herbst spielt auch Marker mit einer starken Bindung am Markt mit – der Duke PT 16. Eine Freeridebindung, unter deren Vorderteil sich eine Pinbindung, wie bei der Marker Alpinist oder Kingpin M-Werks, versteckt. Ich hatte sie leider noch nicht in der Hand, aber (wenn eine Bohrlehre verfügbar wäre – Stand Herbst 2020) sollte einfacher zu montieren sein wie das CAST Freetour System und in eine sehr ähnliche Kategorie an Abfahrtsperformance fallen – jedoch um ein paar Gramm schwerer.

Fazit

Jede dieser Bindungen hat so ihre Eigenheiten oder Einschränkungen und jeder muss für sich entscheiden, welche Kompromisse er bereit ist einzugehen.

Bei diesen abfahrtsorientierten Bindungen ist ein großer Kompromiss sicherlich das Gewicht. Ist man bereit, das mitzutragen, stellt sich dann immer noch die Frage, mit welchen Eigenheiten man sich herumschlagen möchte.

Ich habe mich für meine neuen Ski für ein zweites Paar Shifts entschieden. Ich kenne deren Eigenheiten nun schon und kann diesen entgegenwirken bzw. etwaige Probleme auch lösen. Zusätzlich ist sie leichter als das Freetour System von CAST und die Marker Duke PT 16 (und im Gegensatz zu dieser ist auch eine Bohrlehre vom Hersteller verfügbar!).

Was bis auf die Kingpin, die in vieler Hinsicht eher eine klassische Pinbindung ist, alle gemein haben, ist der seitliche Federweg vorne und der vertikale Federweg hinten. Grundsätzlich kann gesagt werden, je schwerer umso besser – eine Look Pivot fährt sich einfach viel gedämpfter und ruhiger wie eine Shift und nimmt viel mehr Schläge auf und absorbiert diese. Nicht falsch verstehen, die Shift fährt sich um Welten besser wie jede Pinbindung und nimmt auch extrem viele Schläge auf und dieser Unterschied zur Look fällt wahrscheinlich auch nur auf, wenn man beide an zwei Tagen oder an einem Tag hintereinander fährt. Wobei hier auch gesagt werden muss, dass die Ski, auf dem sich mein CAST System befindet, wesentlich schwerer sind als jener mit der Shift.

Wie man sieht, ist die Entscheidung für den modernen Freerider gar nicht so einfach. Je schwerer umso besser die Abfahrtsperformance – je leichter umso besser im Aufstieg.

Einfach gesagt muss die eigene Orientierung zum System Schuh – Bindung – Ski passen und dementsprechend sollte das Set zusammengestellt werden.


Ein Gedanke zu “Freeride-Tourenbindungen – noch immer eine Welt aus Kompromissen

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